Schweierpunkt

150. Gebuertsdag Nikolaus Welter

Zwischen Heimatdichter und Unruhestifter (1)
Nikolaus Welter. Dichter und Denker der Jahrhundertwende in Luxemburg

 
Nikolaus Welter © Pierre Blanc 1908

24.10.2021 - 31.03.2022

 

Welche Bedeutung wird einem Schriftsteller zuteil, wenn er als „Dichter der Heimat“ beschrieben
wird? Diese Frage stellt sich bei Nikolaus Welter, dem 1871 in Mersch geborenen Autor, Lehrer und Politiker. Heimatdichter – ja, aber warum?


Ein Großteil des Stoffs, den er in seiner Lyrik und seinen Dramen verarbeitet, geht zurück auf eine mit Luxemburg verwurzelte Motivgeschichte (2): Die Sage von Siegfried und Melusine (1900), die Ballade des Geigers von Echternach (1900) oder die Geschichte der Rittertochter Griselinde (1901) nutzt Welter als Vorlage.
Es bleibt aber nicht bei der Verarbeitung luxemburgischer Geschichten – Welter geht es vielmehr um eine literarische Aufarbeitung luxemburgischer Geschichte. Hier ist das Stichwort „Engagement“ angebracht, das sich in seiner Literatur unweigerlich an den Heimatbegriff koppelt. Denn Leben und Schreiben des Schriftstellers sind Zeugnis eines Wunsches, mehr noch, eines Drangs nach Veränderung, nach Umbruch. Als Lyriker verarbeitet er beispielsweise nicht nur die ästhetischen Merkmale der Hochöfen im Süden des Landes, sondern mit seinem Gedicht Die Schmiede von 1903, das die sozialen Missstände der Schmiede- Arbeiter anprangert (3), polemisiert er und erinnert dabei in Ton, Rhythmus und Sprachgebrauch an Heinrich Heines Die schlesischen Weber oder sogar an Georg Büchners Der Hessische Landbote. Wegen des Romans Franz Bergg (1913) erhält er schließlich Einreiseverbot nach Deutschland. (4)

Dabei ist Nikolaus Welter jemand, der viel reist und Kontakte zu Autoren im Ausland pflegt, zum Beispiel zu Frédéric Mistral in der Provence. Auch nach Wien unterhält er Kontakte: 1909 verbringt er mehrere Wochen in der damals noch habsburgischen Hauptstadt. Vor allem das Burgtheater, damals noch Hofburgtheater, zieht den Dramatiker an und er hofft, eines seiner Stücke dort aufführen zu lassen. (5)

Die Aufarbeitung luxemburgischer Geschichte und Themen, die seine Heimat beschäftigen, erfolgt bei Welter aber keinesfalls nur in Drama, Lyrik oder Prosa, sondern auch in literaturhistorischen Werken.

Bereits 1906 veröffentlicht er Die Dichter der luxemburgischen Mundart, 1914 Das Luxemburgische und sein Schrifttum und 1929 Mundartliche und hochdeutsche Dichtung in Luxemburg. Ein Beitrag zur Geistes- und Kulturgeschichte des Großherzogtums. Auch der französischen Literaturgeschichte widmet er sich bereits 1909 in Geschichte der französischen Literatur. Nikolaus Welter kennt und analysiert seine Zeit, seine Geschichte und seine Gegenwart. Er erzählt und verarbeitet die Stoffe und die Motive Luxemburgs, jedoch schreibt der studierte Germanist vorzugsweise auf Deutsch.

Veränderung ist aber nicht nur Motivation für seine Literatur.
Zwar spricht er politisch motivierte oder soziale Konflikte in engagierter Lyrik oder sozialen Dramen an – Nikolaus Welter aber ist ein Mensch, der Ideen auch in die Tat umsetzen will.
Ein Thema, das ihn immer wieder beschäftigt, ist die Rolle der Frauen und ihre Versuche der Emanzipation. Nicht nur in Stücken wie etwa Lene Frank, dessen Inhalt die katholische Kirche 1906 verstimmte (6), Professor Forster (1908) oder später Die Braut (1931) liest man eine gewisse Sympathie des Schriftstellers heraus für den Kampf seiner weiblichen Figuren gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Interessant in diesem Zusammenhang ist aber auch, dass Welter 1909 bei der Gründung des ersten Mädchen-Lyzeums (das heutige Lycée Robert-Schuman) seinen aktiven Beitrag leistete und dort ehrenamtlich die Schüler.innen unterrichtete. (7)
Seine Themen bleiben stets mit dem Leben und den Erfahrungen des Autors verwurzelt. Das zeigen nicht zuletzt auch seine autobiographischen Werke, in denen er Reflexionen über die Heimat vor dem Ersten Weltkrieg (Im Wachsen und Werden. Aus dem Leben eines armen Dorfjungen, 1926) und nach dem Ersten Weltkrieg (Im Dienste. Erinnerungen aus verworrener Zeit, 1925) formuliert und verarbeitet. Bei letzterem spielen auch Engagement, Erfahrung und Gedanken Nikolaus Welters als Bildungsminister in der Regierung der Nachkriegszeit mit hinein – er ist längst kein regionaler Schriftsteller mehr.

Die Frage stellt sich, warum wir uns heute noch mit Nikolaus Welter beschäftigen. Wie verhielt sich der Schriftsteller zu seiner Zeit? Wie gehen wir mit seiner Literatur und seinen Ideen um?

Wir lesen seine Texte, verarbeiten die Themen, untersuchen die Rezeptionsgeschichte und holen schließlich, wie der Autor Olivier Garofalo in seinen Arbeitsnotizen zu Nikolaus Welter schreibt, „seine Stimme durch neue Stücke in die Gegenwart.“ (8) Und dabei sollte es immer noch um Engagement gehen, um „Spiel. Geschichte. Keine Schauspieler.innen als Weitergeberapparte für literarisch geformte Diskurstexte auf der Bühne, sondern Handlung, Handlung, Handlung (…) Die Zeit drängt, Umwälzungen stehen uns bevor. Nicht zurücklehnen! Alles, wirklich alles ist im Umbruch!“ (9)

Text Sarah Rock


Prgrammüberblick zum 150. Gebuertstag von Nikolaus Welter

Zwei musikalische Blicke auf den Geiger von Echternach Konzert
So 24.10.21 | 17:00 | Komposition: Lou Koster & Catherine Kontz | Text: Nikolaus Welter | Vokalensemble Singer Pur, Sandrine Cantoreggi, Claude Weber, Danielle Roster
Der Geiger von Echternach handelt vom Ursprung der Echternacher Springprozession. Die Ballade erzählt die Geschichte des langen Veit, der zum Tode verurteilt wird, weil er seine Frau umgebracht haben soll.
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Das Wort im Ton – Nikolaus Welter in Musik gesetzt
Konzert
Sa 05.02.22 | 20:00 | Mezzosopran: Katrin Heles | Klavier: Jobst Schneiderat | Konzept: Danielle Roster
In dem Liederabend erklingt eine Auswahl der besten Nikolaus Welter Vertonungen von Lou Koster, sie werden mit Welter-Vertonungen von Helen Buchholtz, Jules Evrard, Engelbert Humperdinck, Jules Krüger und Kuno Wolf in einen Dialog gesetzt.
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Im Umbruch
Theater
Do 03. - Do 10.03.22 | 20:00 | Eine Art Trauerspiel in fünf Aufzügen von Olivier Garofalo | Auftragswerk des Mierscher Kulturhaus | Regie: Tom Gerber
Eigentlich führen Vater Klaus, Mutter Marie, Tochter Charlotte und Großmutter Anna-Maria ein solides bürgerliches Leben. Nachdem aber Theo, ein alter Familienfreund und hochrangiger Funktionär der konservativen Regierungspartei, eines Tages zu Besuch kommt, werden im Familienheim aus kleinen Rissen tiefe Gräben.
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Quellen:
Antoinette Welter: Nik Welter und das Schulwesen, Teil 2. In Lëtzebuerger
Germanisteverband, Jahresheft 1 (2012), S. 11-28.
Germaine Goetzinger: Nik Welter. Luxemburger Autorenlexikon. https://www.
autorenlexikon.lu/page/author/340/3403/DEU/index.html (25.10.2020)
Nik Welter: Lene Frank. Eingeleitet und kommentiert von Germaine Goetzinger.
Luxemburg: Lëtzebuerger Bibliothéik, 1990.
Olivier Garofalo : Arbeitsnotizbuch zu Nikolaus Welter.

Avec l’aide financière du Ministère de la Culture du Grand-Duché de Luxembourg dans le cadre du programme Neistart Lëtzebuerg – Kultur

MICULogo




 



(1) Nik Welter: Freundschaft und Geleit. Erinnerungen. Luxemburg: St. Paulus-Druckerei, 1936, S. 117. Zit. nach Nik Welter: Lene Frank. Eingeleitet und kommentiert von Germaine Goetzinger. Luxemburg: Lëtzebuerger Bibliothéik, 1990, S. 16.
(2) Vgl. Germaine Goetzinger: Nik Welter, Luxemburger Autorenlexikon. https://www. autorenlexikon.lu/page/ author/340/3403/DEU/index. html (25.10.2020)
(3) Vgl. ebd.
(4) Vgl. ebd.
(5) Vgl. Antoinette Welter: Nik Welter und das Schulwesen, Teil 2. In Lëtzebuerger Germanisteverband, Jahresheft 1 (2012), S. 13
(6) Vgl. Nik Welter: Lene Frank, S. 46-48.
(7) Vgl. Antoinette Welter: Nik Welter und das Schulwesen, Teil 2, S. 13-14.
(8) Olivier Garofalo : Arbeitsnotizbuch zu Nikolaus Welter.
(9) Ebd.

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